Die Welt verändert sich rasant. Eine Krise folgt der nächsten. Empörung, „Vogel-Strauß“ oder Resignation? Wie umgehen mit den globalen Umweltkrisen? Ein persönlicher Rückblick nach vorn.
Die Corona-Krise ist in aller Munde. Dabei haben erst die globale Klimakrise, Regenwald-Rodungen in Brasilien oder die Waldbrände in Australien das Weltgeschehen des letzten Halbjahres dominiert. Mit dem Jahreswechsel 2020 habe ich mich gefragt: Wie gehe ich mit diesen Negativ-Meldungen um? Was macht der Ausblick auf „Alles wird immer schlimmer“ und „Die Menschen zerstören sich selbst“ – samt Ihrem Heimat-Planeten – mit mir? Was verursachen diese Meldungen bei jedem Einzelnen, und nicht zuletzt in unserer Gesellschaft?
Weltschmerz versus Aktionismus
Mit Greta Thunberg und der „Fridays For Future“-Bewegung ist der menschgemachte Klimawandel in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Privates scheint politisch. Jeder Einzelne scheint Verursacher und Lösungsbringer zugleich zu sein. „Flight-Shaming“ und „SUV-Bashing“ sind seitdem an der Tagesordnung. Unsere Art zu Reisen, die Wahl der Urlaubsziele - unser gesamtes Alltagshandeln wurde in Frage gestellt. Die bisherige Werteorientierung unserer modernen Gesellschaften geriet ins Wanken, wenn Jugendliche weltweit ihren Eltern die bisherige „Wachstums-Logik“ verweigerten und ein anderes Ideal von wirtschaftlicher Entwicklung forderten.
Wie also gehe ich mit den Veränderungen um? Machen sie mir Angst – bin ich verunsichter Betroffener? Versetzen sie mich in Euphorie, bin ich handelnder Akteur oder lassen sie mich kalt - bin ich gleichgültiger Beobachter? Anders gefragt: Wie baue ich Resilienz in Zeiten globaler Krisen auf? Wie bleibe ich handlungsfähig in einer krisengeschüttelten Welt?
Reset-Taste: Ein Blick zurück
Ich bleibe stehen, drücke auf die Pause-Taste und schaue zurück. Was kann ich aus meiner persönlichen Erfahrung lernen? Grüne Prägung und Basis. Aufgewachsen in den 80er Jahren mit Schlagworten wie „Ölkrise überstanden“, „Saurer Regen“ und „Tschernobyl“ wurde ich Zeugin einer neuen Umweltbewegung: Aktivisten für eine nachhaltige und friedvolle Welt protestieren und formieren sich als Alternative zu den Nachkriegsparteien. Mit dem Erscheinen der Grünen auf dem politischen Parket schlug mein jugendliches Herz hoffnungsvoll und hoch – mein politisches Ideal war gesetzt.
90er Jahre – Aufbruchsstimmung. Die Welt hat sich auf dem „Umweltgipfel“ in Rio de Janeiro 1992 unter dem Dach der Vereinten Nationen erstmals gemeinsamen umweltpolitischen Zielen verschrieben. Die internationale Klimapolitik wird geboren, Umweltpolitik und Umweltdiplomatie erscheinen als neues Feld auf der globalen Agenda. Die weltweite Dynamik traf auf meine subkulturelle Entdeckung: Mit einer lauten und schnellen Punk-Rock-Attitüde prägten Alternativ-Bands mein kritisches Bewusstsein. Die kreative Do-It-Yourself-Mentalität traf auf meinen Idealismus, dass Veränderung durch den Einzelnen möglich ist. Euphorisch ist das Ziel für meine berufliche Profession klar: Auf die Bühne der internationalen Klimapolitik!
Neues Jahrtausend - Mitten im Geschehen. Die internationale Klima-Community wächst. Als Teil der Wissenschaft darf ich zusammen mit den Vereinten Nationen und Nichtregierungs-Organisationen die internationalen Klimaverhandlungen erleben und analysieren. Ökologie und Ökonomie scheinen in der Politik verhandelbar – und mein nachhaltiger Lebensstil wird selbstverständlich. Vegetarismus, Food-Coperations, Car-Sharing oder alternative Stromanbieter sind in der Gesellschaft kein Exotentum mehr. Beruflich führt es mich in Länder und Umstände, die mir zeigen: Blicke über den Tellerrand bilden und berühren – und wie! Mein Highlight: ein Foto mit Kofi Anan, prägender Akteur dieser Zeit.
2015 - Im Tal der Enttäuschung. Die internationale Klimapolitik stockt, die Forschung liefert stetig „neutrale Fakten“ zum fortschreitenden Klimawandel. Aber auch eine ehemalige „Klimakanzlerin“ zeigt sich zögerlich, Wirtschaftsinteressen zu Gunsten Klimaschutz zu regulieren. Die Klima-Akteure sind ernüchtert, meine Euphorie, gestalten zu können versiegte. Geschüttelt von einer privaten Krise fragte ich mich: Was ist aus meinen Idealen, Werten und Vorbildern geworden? Woran kann mich noch orientieren? Und kann ich als Einzelne in meinem Alltag oder durch politisch-aktives Engagement tatsächlich etwas im System bewegen?
Wie geht Wandel? Meine Erfahrung der Selbstreflektion.
Als angehender Systemischer Coach habe ich mich natürlich gefragt: Was habe ich da eigentlich - bewusst oder unbewusst - gemacht? Wie habe ich mein Mindset verändert?
Erkennen // Mein äußeres Umfeld hatte sich verändert. Alle orientierenden Rahmen schienen wankend oder verschwunden. Es drehte sich mein Emotions-Karussell: In meiner beruflichen Euphorie und Begeisterung war ich ausgebremst und landete im Tal der Tränen.
Innehalten // Mein inneres Umfeld hatte sich verändert. Während meine „Stopp-Taste“ gedrückt war konnte ich einen Wandel meiner Werte erkennen und zulassen. Auf Frust folgte Besinnung. Denn habe ich meine Werte und Identität bis dato umfänglich in Beruf und Alltag ausgelebt, erkannte ich, dass zwischenzeitlich auch andere Themen in mein Leben getreten waren.
Intuition // Unbewusst verlangten neue Themen schon länger nach Aufmerksamkeit. Bedürfnisse, Emotionen und Ressourcen meldeten sich im Prozess des Innehaltens, die während der stets arbeitenden Gedankenmühle im Alltag kaum Gehör gefunden hatten. Die Zeit für diese Neuentdeckungen war wertvoll. Mir die Erlaubnis zu geben, neue Bedürfnisse achtsam in meinen Werte-Kanon und Alltag zu integrieren, ist seither ist ein lebendiger Prozess für mich.
Fokus erweitern // Probleme wollten bearbeitet werden. Unzufriedenheiten erforderten meine gesamte Aufmerksamkeit und volle Energie. „Neuer Job, Glück und Zufriedenheit – her damit! Hat doch bisher auch immer geklappt!“ Doch so sehr ich mich anstrengte, das alte Feuer einer „umweltmotivierten Idealistin“ ließ sich nicht wieder entfachen. Durch den berühmten „Schritt zurück“ konnte ich einen Blick von oben einnehmen und meinen Fokus erweitern: Neue Handlungsoptionen kamen zum Vorschein.
Veränderungen zulassen // Ich fragte mich, was bleiben kann und was gehen darf. Mit dem Erkennen neuer Bedürfnisse konnte ich meinen Werte-Kanon und meine Glaubenssätze überprüfen. Eine kritische Inventur hatte sich automatisch in mein Leben geschlichen und Raum eingenommen. Diesen Prozess wohlwollend, sensibel und aufmerksam anzunehmen, war zentral für mich. Denn nur mit einer Würdigung „des Alten“ und „Erlebten“, konnte ich Neues einladen und gleichzeitig den Verlust meiner persönlicher Integrität bewahren. Punk ist tot! Es lebe der Punk! So ist beispielweise die Haltung einer kritischen Revoluzzerin weiterhin Teil meines Herzens und meiner Identität.
Und jetzt? Mit Rückblick nach vorn!
Was ich gelernt habe? Veränderung ist ein Prozess - manchmal anstrengend und bedrohlich. Doch erlauben wir uns, mutig in uns und unsere Ressourcen zu vertrauen, sehr erfüllend. All dies sind für mich Bausteine, um mit Vertrauen und Gelassenheit auch zukünftigen Veränderungen zu begegnen. In unserer dynamischen Welt, geprägt von Unsicherheiten und Wandel, sind dies für mich zentrale Ressourcen. Denn Zukunft kann einfach geschehen - oder bewusst mit Herz und Verstand von uns gestaltet werden. Rebuild your future.
Was ist geblieben? Nicht nur ein Foto mit Kofi Annan, sondern ein klares Bewusstsein für meine Identität, bereichert um neue Aspekte und ergänzt um wertvolle Erfahrungen. Wollte ich meinem Jugendlichen Ich etwas zurufen, wäre es: „Love yourself – be kind to your mind and patient with people’s hearts.“
Danke, liebe Renate, für deinen inspirierenden Beitrag 💝 Wozu wird dein nächster Beitrag sein? 😌