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Aktives Loslassen

Warum fällt es einem eigentlich immer so schwer loszulassen? Dabei ist es egal, ob es sich um Situationen handelt (wer geht schon, wenn es wirklich am schönsten ist?), um Dinge oder um Menschen?

In diesem Blog teile ich mit dir, wie schon die letzten Jahre, eine Geschichte aus meinem Leben. Dieses Mal geht es um den Abschied von Menschen & dem loslassen von Dingen.


Der erste Schmerz

Es war kurz vor meinem 25. Geburtstag als meine Mutter starb. Man kann sagen „…nach kurzer schwerer Krankheit“ – sie hatte Bauchspeicheldrüsenkrebs. Da stand ich nun, ich junges Huhn & hatte die undankbare Aufgabe die Kölner Wohnung aufzulösen. Die Wohnung in die meine Eltern als Erstbezug in den 60ern eingezogen waren. Die, in der ich groß geworden war. Die, in der ich in der guten alten Zeit mit meiner Familie wohnte. Wo ich im Kinderzimmer alles versuchte um die Hausaufgaben zu schwänzen, in der Küche lernte, wie man Pfannkuchen machte & mich auf der Couch im Wohnzimmer als Kind an meinen Vater kuschelte & hoffte, er merkt nicht wie spät es schon ist.


3 Zimmer, Küche, Bad & Keller


Über drei Jahrzehnte Möbel, Bücher, Geschirr, Briefe, Fotoalben, Reiseandenken & so vieles mehr. Aus familiären Gründen lag es an mir all das innerhalb von vier bis sechs Wochen mein ehemaliges Zuhause in eine übergabefähige, leere Wohnung zu verwandeln. Wo also anfangen? In einem Moment hatte ich meine Mutter beerdigt & sollte im nächsten schon rationale Entscheidungen treffen? Dazu kam noch, dass ich damals knapp 80 Kilometer entfernt in der Eifel wohnte & in Bonn arbeitete. Von Nicole, meiner BFF (best friend forever) hatte ich dir ja schon letztes Jahr erzählt. Sie half mir damals mit meinem Schmerz, meiner Trauer & meiner erlebten Überforderung klar zu kommen. Sie & ihr Mann standen mir bei, als es an mir lag Entscheidungen zu treffen:


Wohin mit der Küchenausstattung?

Was passiert mit den Möbeln? Der Kleidung? Den alten Öltanks im Keller?

& vor allem: wie halte ich es mit den ganzen privaten & persönlichen Sachen?


Schließlich zogen mein Bruder & ich damals aus der Wohnung aus & nahmen nur das mit, was wir zu dem Zeitpunkt wirklich brauchten. Zurück ließen wir das, was Kinder bei ihrem Auszug zurück lassen: ihre Kindheit in Form von gemalten Bildern, gebastelten Geschenken (die schönsten hatte meine Mutter natürlich aufgehoben), Schulsachen & Jugendbüchern.


Ein Beispiel? Dieses Kreidebild malte ich im Februar 1978. Eines meiner Fundstücke.



Glaub mir:

Ich saß im Frühjahr ´97 manche Stunde auf dem Boden in dieser Wohnung & verlor mich in meinen Kindheitserinnerungen. Wie gerne hätte ich damals nach meiner Mutter gerufen & sie gefragt, wie das damals noch mal genau war. Die Trauer übermannte mich & ich weinte, was das Zeug hielt. Doch es half nichts: Es gab diesen Übergabetermin.


Der erste Versuch

Irgendwann war Sommer, die Wohnungsauflösung lag hinter mir & die tränenreichen Wogen der Trauer kamen seltener. Ich hatte meine erste Erfahrung mit Abschied, Trauer & Loslassen gemacht. Von vielen Dingen, außer den Möbeln, habe ich mich damals nicht trennen können. Zu unsicher fühlte ich mich, ob ich es nicht später bereuen würde zum Beispiel die Fotoalben aus der Jugend meiner Mutter weggegeben zu haben. Oder die Andenken von ihren Reisen. Oder die geerbte Bettwäsche von ihrer Oma (meiner Uroma). So lagerte ich sie, wie auch meine alten Poesiealben & Co., auf dem Dachboden meines Vaters ein 😇


Der zweite Versuch

2008 starb dann leider auch mein Vater. Erneut hatte ich die undankbare Aufgabe die materiellen Dinge aus dem Haus zu holen & es für den Verkauf vorzubereiten. Dieses Haus, in dem wir in den 70ern als Familie jedes Wochenende waren. Das Haus in das mein Vater nach der Trennung von meiner Mutter zog. Das Haus, das insgesamt 500m2 Grundfläche umfasste. Das einen RIESIGEN Dachboden hatte auf dem sich unfassbar viel Zeug angesammelt hatte (allein schon die ganzen Sachen aus Köln, siehe oben) plus eine Scheune & einen Stall als Werkstatt & Materiallager.


Doch erneut half es nicht den Kopf einzuziehen – ich hatte zu funktionieren, trotz meines Schmerzes um den Verlust meines Vaters. Mit der Erfahrung aus ´97 beschloss ich dieses Mal: Ich nehme nur ein paar persönliche Erinnerungsstücke mit & den ganzen Rest sollte bitte ein Entrümpler entsorgen.

Das klingt hart – war es auch!


Ich saß so manchen Abend im Haus & fragte mich:


„Was werde ich bereuen nicht mehr anfassen zu können?“


Da waren die ganzen Super8-Filme, die in den 70ern so modern waren. Würde ich sie noch mal anschauen? Hatte ich überhaupt noch einen funktionierenden Projektor? Nein. Hm? Was kostet die Reparatur des Projektors? Ist es mir das wert?

Oder die ganzen Dias (die Älteren erinnern sich: kleine transparente, bunte Bilder die ebenfalls mit einem Projektor an die Wand projiziert werden konnten). Meine Eltern hatten wirklich VIELE Dias in 60ern & 70ern gemacht. Auf kaum einem war ich zu sehen oder hatte an die Situation wenn überhaupt, dann nur schemenhafte Erinnerungen. Würde ich sie wirklich vermissen, wenn sie weg wären?

All diese persönlichen Erinnerungsstücke & Andenken… Was davon brauchte ich um mich auch weiter zu erinnern? Um Abschied zu nehmen & meine Wunden langsam heilen zu lassen? Was würde mir bei diesem Prozess helfen? Was mich eher behindern? Damals fühlte ich mich furchtbar schuldig, wenn ich mit gegen etwas entschieden hatte.


Durfte ich das überhaupt?

Bin ich nicht eine undankbare, kaltherzige Tochter, wenn ich nicht alles aufhebe?

War es okay, wenn ich nicht alle Erinnerungsstücke aufhebe?

Was würden die anderen denken? Meine Familie? Die Freunde meiner Eltern?

Ich über mich?!


Jetzt noch, wenn ich darüber schreibe, spüre ich den Druck auf meiner Brust & mir wird der Hals eng. Ich habe es gehasst diese endgültigen Entscheidungen zu treffen. Wirklich! Denn entschied ich mich dazu etwas los- & im Haus zu belassen, wurde es garantiert auf dem Müll entsorgt.


Alleine die Vorstellung macht mich fertig:

Ein Lebenswerk auf dem Müll?

Unfassbar.

Ich fühlte mich so unglaublich schlecht.


Um es kurz zu machen

Auch dieses Mal nahm ich nur einige persönliche Dinge & Andenken mit in meine Wohnung & deponierte sie in Umzugskartons in meinem kleinen Keller. Eine sehr mitfühlende Therapeutin begleitete mich seinerzeit & die fürchterlichen Gedanken & Gefühle über meine Taten ließen nach. Ich hätte wirklich nicht gewusst, wo ich beispielsweise hunderte Bücher hätte lagern sollen. Bücher, die meinen Eltern wichtig waren, die ich aber nie lesen würde. Oder die ganzen Dias & Filme…

Ich entschied mich dazu diese zurück zu lassen & dafür einige Fotoalben mitzunehmen. Meine Poesiealben & Schulsachen blieben zurück, genauso wie meine ersten Paar Ski & auch mein Kinderschlitten. Dafür kamen ein paar Altertümchen mit. Unterm Strich war mein Hausstand auf einen Schlag um viele Kartons reicher 😅 Um dir eine Idee zu geben, wie groß mein Hausstand war: Als ich mit meinem Mann zusammenzog, zogen mit mir 150 Kartons in unser Haus ein.


Einhundertundfünfzig Umzugskartons.


Noch Fragen? 🙈


2022

In 2021 verloren hunderte, tausende Menschen durch die Flut in NRW & im Rheinland unfassbar viel bis alles. Mich berührte dieses Schicksal sehr. In Gesprächen & auch durch Reportagen erfuhr ich von diesen tapferen Menschen, wie sie es schafften diese materiellen Dinge mental gehen zu lassen. Leider verloren auch mindestens 180 Menschen ihr Leben - & Menschen damit ihre Angehörigen, Freunde, Kollegen, Nachbarn.

Es ist mit nichts zu vergleichen, wenn das Schicksal einem wirklich alles nimmt. Doch wollte ich mir diese mutigen Menschen ein klein wenig als Vorbild nehmen. Wollte endlich mein Leben & meinen potentiellen Nachlass aktiv ausmisten & reduzieren. Ballast los werden.


Aktiv loslassen. Dankbarkeit hilft.

Mein Mann & ich planten einen Umzug in unserem Haus um zukünftig weniger Energie durch heizen zu verbrauchen. Dazu benötigten wir an einigen Stellen Platz. Platz, der bis dato von alten Büchern, Fotoalben & anderen Andenken eingenommen war.

Ganz bewusst nahm ich mir im Sommer dieses Jahres mit Zeit diese Regale vor. Die Fotoalben meiner Eltern schaute ich alle durch & behielt nur einige, wenige der Bilder. Auf manchen waren sie als Person besonders gut getroffen, andere weckten bestimmte Erinnerungen in mir. Den anderen Fotos dankte ich gedanklich, dass sie mich so lange begleitet hatten. Mit dieser Dankbarkeit konnte ich sie loslassen & weggeben. Dann waren da noch diese Meter von Büchern im Regal… Auch hier entschied ich von Buch zu Buch:


Habe ich deine Botschaft aufgenommen? Brauche ich dich noch für meine Zukunft?

Oder könnte jemand anders von deinem Inhalt profitieren?


Kartonweise spendete ich Bücher an

  • Kindergärten (Kinderbücher noch von meinem Bruder & mir )

  • Offene Bücherregale in den umliegenden Dörfern

  • & ja, auch entsorgte ich ernüchtert nicht wenige Bücher im Altpapier.


Vielleicht hast du wie ich fasziniert von den Aufräum-Orgien á la Marie Kondo gehört. Unglaublich wie befriedigt Menschen sich äußerten, nachdem sie ihren materiellen Besitz reduziert & den Rest neu organisiert hatten.


Das wollte ich auch!

& wie es diese Ordnungs-Trainer lehren:


Dankbarkeit half mir dabei loszulassen


Zum Beispiel bedankte ich mich gedanklich wirklich bei allem, wovon ich mich trennen wollte. Vorher fragte ich mich & antworte mir so ehrlich wie ich konnte:

  • Welche Rolle hatte XY bis heute in meinem Leben?

  • Hat es mich bereichert?

  • Ist der Prozess abgeschlossen?

  • Welchen Wert hat es heute für mich?

  • Kann ich es heute loslassen?

  • Wenn nicht, was brauche ich noch um es bald loslassen zu können?


Als kleine Entscheidungshilfe teile ich mir dir dieses Flussdiagramm für AKTIVES LOSLASSEN


Entscheidungshilfe als Flussdiagramm um sich dankbar von Dingen zu trennen.
Entscheidungshilfe für aktives Loslassen

Mein Fazit

Vermutlich ist es meinem Lebensalter & all den herausfordernden Situationen geschuldet, denn heute kann ich viel leichter Dinge aus meinem Leben gehen lassen. Hat es mir gute Dienste geleistet, dann kann ich es leicht gehen lassen & so möglicherweise jemand anderem die Chance geben auch zu profitieren. Im Sommer habe ich so unglaublich viele Sachen über Kleinanzeigen verkauft. & wenn es nur die 5 Euro waren… Sei es das LACK-Regal, was eigentlich nur noch im Weg stand. Oder die beiden Übergangsjacken, die mir schon lange nicht mehr passten. Oder meine Golfausrüstung…

BTW: Solltest du noch ein wirklich tolles Teleskop suchen,

ich hätte da noch eins 😉


Vielleicht konnte ich dich mit meiner Geschichte inspirieren aktiv Dinge aus deinem Leben gehen zu lassen. Den materiellen Ballast zu reduzieren, den wir uns mit den (Lebens-) Jahren anschaffen oder der auf andere Weise bei uns bleibt. Ich kann dir aus meinen Erfahrungen sagen: Es tut gut!


Ein schöner Nebeneffekt, den ich noch mit dir teilen möchte, ist:

Unsere Nachbarin hat gute Kontakte in den ortsansässigen Kindergarten. Ihr gab ich einen großen Karton an Stoffresten. Große Reste, aber auch kleine Reste. Stoffe, die bei meinen Nähprojekten übrig waren & die ich aufhob mit dem Gedanken „Vielleicht könnte ich das ja noch mal brauchen?!“ Nein. Aber die Kinder basteln jetzt daraus tolle Sachen für ihre Eltern! Die freuen sich bestimmt riesig & heben diese kleinen Kunstwerke auf.

& so schließt sich der Kreis 💙



Ich schreibe jetzt seit drei Jahren Beiträge in diesem Blog. Teile mit dir Gedanken & Impulse, die es nach meinen Erfahrungen leichter machen mit dem einen oder anderen umzugehen.

Heute möchte ich dir DANKE sagen für deine Treue. Für jedes deiner Likes unter meinen Posts & jede Nachricht, die mich als Feedback erreicht. Diese kleinen Gesten motivieren mich & freuen mich jedes Mal! J

Manch einer der Leser wurde irgendwann zu einem zahlenden Klienten. Auch dafür möchte ich DANKE sagen! & wenn du dich jetzt fragst, ob ich hier irgendetwas loslassen oder gehen lassen will, dann sage ich dir:


Das Jahr 2022 kann bitte gehen!

Ich habe viele Lektionen gelernt

& jetzt genug von Krisen & Co.

Danke!


Dir wünsche ich eine besinnliche Weihnachtszeit. Möge sie für dich voller Ruhe, Entspannung & Erholung sein. & wenn du magst: Mitte Januar kommt schon der nächste BLOG & auch das nächste UPDATE als Newsletter. Darf ich auf dein Abo & Like zählen?!


Lächelnde Grüße

deine

Christine


vom

KOMMUNIKATIONSbuffet

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